Meine Reise: Besessenheit, Scheitern und KI als Anker
Heute spricht jeder über KI. Über Goldgräberstimmung, Hype und schnellen Erfolg. Meine Geschichte ist anders. Sie handelt von Besessenheit, Scheitern und davon, warum KI für mich – eine autistische Person aus einer Handwerkerfamilie – der einzige Ort ist, der wirklich Sinn ergibt.
Kapitel 1: Das Problem lösen, nicht dem Hype folgen
Alles begann im Jahr 2017. Ich hatte mit Computersicherheit angefangen, wandte mich der Automatisierung zu und fand schließlich zur KI. Ich wollte, dass meine Systeme intelligent und reaktiv sind. Während andere über Blockchain sprachen, stand meine Mutter im Supermarkt und konnte ihre Zutatenliste nicht lesen, weil sie ihre Brille vergessen hatte. Ich wollte helfen. Klassische Texterkennung scheiterte an runden Dosen und knisternden Tüten. Also verwarf ich die Standards und entwickelte eine Lösung, die Videobilder in Echtzeit überlagerte, bis der Text statistisch wahrscheinlich korrekt war.
Eigentlich hätte ich damals für mein Abitur an der Berufsschule lernen sollen. Aber während mich einige Fächer langweilten und andere wie Elektrotechnik mich überforderten, fesselte mich dieses Projekt. Als das Handy meiner Mutter schließlich "Glutenfrei" signalisierte, wusste ich: Das ist es. Schule und Smalltalk fielen mir schwer, aber in der Logik von Algorithmen fühlte ich mich sicher.
Kapitel 2: Die Wildnis des Unternehmertums
Aus Naivität und Zufall wurde ich Unternehmer. Es begann mit einer Idee für eine Ernährungslandkarte, aber in erster Linie gründeten wir das Unternehmen zum rechtlichen Schutz, mit der Vorstellung, dass wir etwas Geld verdienen könnten, solange wir Zeit haben, und damit ich Rechnungen für Programmieraufgaben stellen konnte, die ich für eine Behinderteneinrichtung erledigte. Mein Partner, ein Ökonom, erkannte eine größere Chance. Nach diesen ersten Projekten verfolgten wir ein viel größeres Ziel: Einen lokalen Sprachassistenten, komplett offline. Ich verbiss mich in das Problem. Wir wollten Spracherkennung für Menschen mit Sprachbehinderungen ermöglichen – eine Gruppe, die von Big Tech oft ignoriert wird. Technisch war es faszinierend. Menschlich war es die Hölle. Während mein Partner die geschäftliche Seite übernahm, bin ich fast an dem Druck und den sozialen Anforderungen, die die Selbstständigkeit mit sich brachte, zerbrochen. Ich funktionierte, bis ich es nicht mehr tat.
Kapitel 3: SSH von der Station
Nach eineinhalb Jahren kam der Zusammenbruch. Ein Jahr Krankheitsausfall, zwei Aufenthalte in der Psychiatrie. Dort, an meinem absoluten Tiefpunkt während meines zweiten Aufenthalts, hat KI mich gerettet. Aber es gab noch einen weiteren Retter: meinen Assistenzhund. Er war kurz vor der Gründung des Unternehmens in mein Leben getreten und stand mir durch den ganzen Stress zur Seite. Ohne ihn hätte ich nach diesem Jahr der Krankheit wahrscheinlich nicht die Kraft gefunden, wieder aufzustehen.
Während andere zur Ergotherapie gingen, saß ich dort mit meinem Chromebook, per SSH mit meiner Workstation mit GPU zu Hause verbunden, und kämpfte mich zurück auf Platz 1 der Bestenlisten auf "Papers with Code" (HuggingFace). Ich wusste, dass ich meine psychischen Probleme nicht einfach wegprogrammieren konnte. Aber ich konnte die Grenzen der Technologie verschieben. Das gab mir Stabilität.
Kapitel 4: Der steinige Weg zurück
Der Arbeitsmarkt ist nicht für Menschen mit schweren Behinderungen, Autismus und einem Assistenzhund gemacht. Ich bin an Bewerbungen gescheitert. Eine Zeit lang habe ich im Handwerksbetrieb meines Vaters ausgeholfen, aber ich konnte meinen Platz nicht finden. Ich habe Jobs nach einem Tag gekündigt, weil der Druck der alleinigen Verantwortung zu groß war. Sogar meinen sicheren Hafen bei primeLine habe ich verlassen, um bei einem Startup einzusteigen, angetrieben vom Wunsch, am OpenEuroLLM-Projekt zu arbeiten. Aber nach 2,5 Monaten bin ich zurückgekehrt. Es hat nicht gepasst. Ich habe erkannt, dass ich ein Umfeld ohne starre Hierarchien und den ständigen Bedarf an tiefer sozialer Koordination brauche. Bei primeLine habe ich die Freiheit, Entscheidungen zu treffen, ohne ständig die „seltsame“ Logik in meinem Kopf erklären oder meine unkonventionellen Ansätze rechtfertigen zu müssen. Ich kann Anweisungen nicht blind befolgen; ich brauche den Raum, um Probleme auf meine eigene Weise zu verstehen und zu lösen.
Kapitel 5: Angekommen (Status Quo)
Heute bin ich dort, wo ich hingehöre – aber nur, weil ich das richtige Umfeld gefunden habe. Ein ehemaliger Kollege hat mich in sein Team geholt. Heute arbeite ich tief in der Hardware, schreibe Testberichte für Chip-Hersteller, berate Universitäten und unterstütze große Industrieunternehmen. Warum funktioniert das?
Kein Mitleid: Ich möchte durch Leistung überzeugen, nicht durch meinen Status als Mensch mit Behinderung.
Flexibilität: Wenn ich für zwei Tage "ausfalle", hole ich das in meinen Hyperfokus-Phasen zehnfach wieder auf.
Ergebnisse vor Anwesenheit: Ich arbeite in Teilzeit, um einen Puffer für schlechte Tage zu haben. Aber wenn ich im Tunnel bin, erreiche ich mehr als viele in Vollzeit.
Mein Appell an Arbeitgeber und Betroffene
Meine "Superkraft" ist das Festbeißen an Aufgaben. Ich gebe nicht auf, bis die Lösung da ist, egal wie unkonventionell sie erscheint. Aber diese Kraft hat ihren Preis. An alle Arbeitgeber: Trauen Sie sich. Menschen, die "anders" sind, brauchen keine Sonderbehandlung aus Mitleid, sondern ein Umfeld, das ihre Stärken freisetzt und ihre Schwächen abfedert. Und an alle, die gerade am Tiefpunkt sind: Es gibt einen Weg zurück. Suchen Sie sich ein Umfeld, das zu Ihnen passt – nicht eines, in das Sie sich hineinzwängen müssen.
Ich würde den Weg in die Selbstständigkeit nicht noch einmal gehen. Ich brauche Sicherheit und Ruhe. Aber ich bin froh, meinem Ruf zur KI gefolgt zu sein – sie war und ist mein Anker.